Raubbau fürs Klima
von Gerald Traufetter
Waldökologen sind alarmiert
Ökologen warnen vor verheerenden Folgeschäden für die Natur. "Derzeit regiert leider die Axt im deutschen Wald", kritisiert Leif Miller, Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbundes Deutschland. "Wir brauchen Konzepte, um den Hunger nach nachwachsenden Rohstoffen mit einem intakten Wald in Einklang zu bringen."
In die gleiche Kerbe haut Sebastian Schönauer vom Bund für Umwelt- und Naturschutz: "Immer größere Maschinen rücken in den Wald vor." In den bayerischen Staatsforsten etwa schlage man alle 25 Meter Schneisen, sogenannte Holzrückgassen, um besser an den begehrten Rohstoff zu kommen. Doch schwere Maschinen sorgen mit ihrem Gewicht und den Vibrationen dafür, dass die lockere Humusschicht verdichtet wird. Sauerstoff dringt nicht mehr in die Tiefe. "Zudem kann das Erdreich nicht mehr so gut Wasser speichern", erklärt Schönauer.
Sorge bereitet ein zügelloser Bioenergiemarkt jetzt auch dem maßgeblichen Beratungsgremium der Bundesregierung, dem Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU).
Vor allem Gabriel dürfte nicht erfreut sein, was Jürgen Schmid von der Universität Kassel vortragen wird. "Bioenergie hat zwar ein signifikantes Potential", sagt er. "Mit falscher Förderung bewirkt man für das Klima und den Umweltschutz aber genau das Gegenteil." Beispiel dafür sei die vom Bund und der EU vorgeschriebene Beimischung von Biosprit ins Benzin. Aus Mais oder Raps hergestellt, kann Biosprit dem Klima mehr schaden als nutzen. "Die Politik muss schnell damit aufhören", fordert Schmid.
Auch beim Holz dürfe es keinen umweltpolitischen Wildwuchs geben. Schmid: "Waldrestholz darf nur eingeschränkt genutzt werden, da sonst dem Boden zu viel organische Substanz und Mineralien entzogen würden." Die Gefahr von Ökoschäden wachse. Dringend müssten internationale Vereinbarungen her, so der WGBU, da sich die Menschheit vor einem "beginnenden Bioenergieboom" befinde.
Dass dem Holzmarkt stürmische Zeiten bevorstehen, glaubt auch der Umweltökonom Udo Mantau. "Wir werden in der energetischen Nutzung des Holzes schon bald an unsere Grenzen stoßen", prophezeit er - und attestiert den Energiekonzernen und der Politik, das Potential der Biomasse zu überschätzen: "Manche glauben, man müsse nur ein Loch in die Erde bohren, und schon schießt Holz heraus."
Je nach Prognose dürfte sich der Waldholzbedarf bis zum Jahr 2020 noch erheblich steigern, von heute über 70 auf weit mehr als 100 Millionen Festmeter. "Diese Entwicklung wird ganz sicher eintreten", sagt Mantau. Denn das ehrgeizige Ziel der Europäischen Union, in knapp zwölf Jahren rund 20 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen bereitzustellen, sei ohne eine drastisch erhöhte Nutzung von Biomasse gar nicht erreichbar.
In einigen Bereichen des Holzmarktes treten schon jetzt erste Verteilungskämpfe auf. Die Zellstoffindustrie etwa ärgert sich über die Subventionierung der Holzheizkraftwerke, weil das die Preise nach oben treibe. "Vor dem Jahr 2003 hat der Festmeter Fichte 30 Euro gekostet, seit 2005 ist er ungefähr doppelt so teuer", klagt etwa Wilhelm Vorher vom Verband Deutscher Papierfabriken und fordert, die "permanente Subventionierung" der Biomassekraftwerke zu stoppen.
DER SPIEGEL 49/2008
TITEL
Angela Mutlos
Das gefährliche Zaudern der Kanzlerin in der Wirtschaftskrise
Um den Holzhunger zu stillen, könnte schon bald auch eine ganz neue Quelle auf deutschen Äckern sprießen: Landwirte sollen schnell wachsende Pappeln und Weiden anbauen, die sich schon nach vier Jahren abernten lassen. RWE plant zusammen mit einer Forstbaumschule und anderen Holzdienstlern 10 000 Hektar Plantagen. Derzeit gedeihen Hunderttausende Setzlinge. Der Essener Konzern will so 30 bis 40 Prozent seines Holzbedarfs decken. "Damit soll die Versorgung der Anlagen gesichert werden", so RWE-Ingenieur Stradal.
Doch wird das reichen? Die Biomassekraftwerke werden sich künftig mit jenen Firmen um den faserigen Brennstoff streiten, die aus Holz Biosprit herstellen wollen, etwa dem sächsischen Biodiesel-Unternehmen Choren. "Wenn ich dessen Chef von seinen Wachstumsplänen sprechen höre, dann denke ich mir immer: Woher will er denn das ganze Holz nehmen?", rätselt Forstökonom Mantau.
Bleibt als letzte große Reserve also nur das "Waldrestholz": Rinde, Äste und Wurzeln. Bislang werden diese Teile nach dem Abholzen eines Baums im Wald belassen - aus gutem Grund: Über 50 Prozent aller Nährstoffe stecken in Nadeln oder Blättern sowie Ästen und der Krone. Mikroorganismen im Waldboden kümmern sich darum, die organische Materie zu zersetzen. "Der Baum kann die Nährstoffe wieder aufnehmen, ein perfekter Kreislauf", so Ökoförster Wohlleben. Werde jedoch der ganze Baum aus dem Wald gezogen, dann verarmten die Böden. Buche, Eiche oder Kiefer verkümmerten.
Vor allem Waldökologen sind alarmiert über den drohenden Raubbau am Waldrestholz. "Überall im Lande wird mit der Nutzung bereits begonnen, die Erntesysteme sind vorhanden, und die Absatzmärkte wachsen", warnt etwa Karl Josef Meiwes von der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Göttingen im Fachblatt "Allgemeine Forst Zeitschrift".
Der Wissenschaftler fordert, nur in Regionen mit hohem Nährstoffgehalt Kronen und Geäst zu ernten. Auch sollte strikt Buch geführt werden, wie viel Reisig dem Wald entnommen wurde.
Waldschützer Wohlleben ist jedoch skeptisch, ob sich die Verwertung ganzer Bäume auf diese Weise eindämmen lässt. Er befürchtet, dass der positive Begriff Bioenergie alle Bedenken überstrahlen werde.
Ein Dilemma drohe: "Wollen wir wirklich, dass der Waldschutz für den Klimaschutz geopfert wird?"